Über Adopt a Day

Über Adopt a Day

Irgendwas ist immer. Deshalb erscheinen Zeitungen täglich, und deshalb steht auch immer irgendwas drin. Noch nie ist eine Titelseite ausgefallen, weil es nicht irgendwas zu berichten gab. Es passiert ja auch so viel jeden Tag, dass die Zeitungsmacher entscheiden müssen, was auf ihre kostbaren Seiten kommt und was nicht. Bei der Gestaltung der Titelseite fragen sie sich: Welches Ereignis ist heute total relevant für meine Leser? Die Zeitungsmacher wählen dann aus den unendlich vielen Ereignissen des Tages welche aus, und eins bekommt die meiste Aufmerksamkeit auf dem Titel. (Interessanterweise wählen die meisten Macher der verschiedenen Zeitungen das gleiche Thema für ihren Aufmacher aus. Alle sind sich einig: DAS interessiert Alle!)

“Mutter lässt eigenes Kind verdursten!”

Die Relevanz stellen die Boulevard-Zeitungen für ihre Leser meist über Gefühle der Betroffenheit her: Ungerechtigkeit geht immer, am besten, wenn der Leser indirekt auch einer der Betroffenen ist. “Politiker bezahlt Koks-Party mit unseren Steuergeldern!” oder “Diese Mutter hat ihr eigenes Kind verdursten lassen!”. So was funktioniert ganz gut, zumindest haben Boulevardzeitungen die höchsten Auflagen. Andere Zeitungen versuchen mit ihren Titeln auch, dem Leser ein Gefühl der Betroffenheit zu bescheren, jedoch auf subtilere Art, mit einem kühleren Blick. Der FAZ-Leser lässt sich von anderen Ereignissen und auf andere Art rühren, als der BILD-Leser.

Ohne Zweifel: Nachrichten sind interessant. Menschen lesen und gucken sie zu hauf und täglich. Doch was bringen uns Nachrichten außer Gefühlen der Betroffenheit und des Staunens? Sie bringen uns Unterhaltung, und das ist ein guter und berechtigter Grund, sich täglich Nachrichten anzugucken. (Hintergrundberichte, längere Zeitungs- und Magazinartikel oder Bücher erfordern hingegen Gedankenarbeit beim Konsumenten. Ich beschränke mich hier auf Nachrichtenschnipsel und Schlagzeilen und deren Sinnhaftigkeit.)

Relevanz ist relativ

Was ich mit diesem Buch fragen möchte: Sind die Nachrichten darüber hinaus für den Einzelnen auch relevant? Bringen sie dem Leser irgendeinen Gewinn oder Nutzen nebst der Unterhaltung? Beeinflussen Sie das Leben der Leser? Wenn beispielsweise Platzek zurücktritt – macht der Leser dann irgendwas anders an dem Tag? Wenn man die Tage aus der Perspektive der Zeitungsmacher den Tagen aus der Perspektive des Einzelnen gegenüberstellt, wird klar: Relevanz ist relativ.

Rolf Dobelli schreibt in einem Guardian-Artikel im April 2013: “Du hast in den letzten 12 Monaten ca. 10.000 Nachrichten konsumiert. Kannst Du eine Nachricht nennen, dank derer Du eine bessere Entscheidung treffen konntest, die Dein Leben ernsthaft beeinflusst hat? Der Punkt ist: Der Konsum von Nachrichten ist irrelavant für Dich.”

Deshalb beschreiben 365 Menschen einen Tag aus dem Jahr 2014 aus ihrer Perspektive. 365 Doppelseiten hat das Buch, links stehen die Schlagzeilen aus der Tagespresse, rechts die Geschichte über das Wichtigste des Tages aus der Sicht eines Einzelnen. Man bekommt eine Art Chronogie des Presse-Jahres, der vermeintlich großen Ereignisse und dazu viele kleine Geschichten vieler verschiedener Menschen. “Papst tauscht seine Kappe mit Base-Cap einer Slum-Bewohnerin!”. Aber ich hab heute beim Pfandflaschensammeln im Park diesen unglaublichen Typen kennengelernt. Bin gespannt wie es mit uns weitergeht!” Vor allem die kleinen Geschichten sind noch viel bunter als diese Webseite.

Zufriedener Flaschensammler, Vorstandsvorsitzender mit Wurm drin

Nun gibt es auch Nachrichten, die jeden umhauen, das will ich nicht bestreiten. Jeder kann sich an die Situation erinnern, in der er von den 11.-September-Anschlägen hörte. Deshalb ist es interessant zu sehen, wie viele der Menschen bzw. Autoren in der Beschreibung ihres Tages Dinge von der linken Seite erwähnen, also wenn sich gemeinsame Überschneidungen der Relavanzen der Presse und des Einzelnen ergeben. Was sind das für Ereignisse? Und welcher Mensch ist es, für den sie auch relevant sind?

Insgesamt ist das Buch also eine offene Geschichte. Über den Kontrast zwischen Pressegeschichten und denen des Einzelnen kommt irgend ein Gefühl auf. Was das genau bedeutet, weiß ich nicht. Das Buch soll Spaß machen, überraschen und ein bisschen zum Nachdenken anregen. Besonders auf den rechten Seiten zeigt sich: Wir sind doch alle nur Menschen. Et kütt wie et kütt, sagt der Kölner, es kommt, wie es kommt. Das hat schon etwas zen-artiges an sich, aber so ist es: Der eine ist Pfandflaschensammler und erlebt einen glücklichen, zufriedenen Tag, der andere ist Vorstandsvorsitzender, und bei dem ist heute der Wurm drin. Mit einem Wort: Peace.

AAD_Beispielseite

So könnte ein Seite im Buch dann aussehen.